Erinnerung an die Kriegstoten und Opfer der Gewaltherrschaft in Borsdorf

Lionsfreund Dr. Matthias Schwarzmüller hält am Volkstrauertag die Gedenkansprache.

Seit 1952 wird in Deutschland zwei Sonntage vor dem Ersten Advent am sogenannten Volkstrauertag in aller Stille der Kriegstoten und Opfer der Gewaltherrschaft aller Nationen gedacht.

Die zentrale Gedenkfeier fand auch in diesem Jahr traditionell im Deutschen Bundestag statt.

Wie an zahlreichen Orten wurde auch in Borsdorf an die Menschen erinnert, die in Kriegen und durch Gewaltherrschaft ihr Leben verloren haben.

Unser Lionsfreund Dr. Matthias Schwarzmüller hielt am 13. November als Bürger der Gemeinde die diesjährige Ansprache, die unter „weiterlesen“ wiedergegeben ist.

Liebe Anwesende, meine sehr verehrten Damen und Herren.

Lassen Sie mich beginnen mit einem Zitat:
Nichts Bessres weiß ich mir an Sonn- und Feiertagen,
Als ein Gespräch von Krieg und Kriegsgeschrei,
Wenn hinten, weit, in der Türkei,
Die Völker aufeinander schlagen.
Man steht am Fenster, trinkt sein Gläschen aus
Und sieht den Fluss hinab die bunten Schiffe gleiten;
Dann kehrt man abends froh nach Haus,
Und segnet Fried’ und Friedenszeiten.
Herr Nachbar, ja! So lass ich’s auch geschehn:
Sie mögen sich die Köpfe spalten,
Mag alles durcheinander gehn;
Doch nur zu Hause bleib’s beim alten.
Diese Verse schrieb Johann Wolfgang von Goethe im Faust 1 vor über 200 Jahren und beschrieb damit deutsche Bürger, die uns heute noch sehr gegenwärtig scheinen.
Vor 66 Jahren endeten die Kriegshandlungen auf deutschem Boden. Die damals aktiv beteiligten Soldaten sind heute 80 Jahre und älter oder sie sind schon nicht mehr unter uns. Immer weniger Menschen können uns berichten über den Krieg, wie sie ihn erlebt haben. Aber nur diese sehr persönliche Sicht auf diesen, man möchte das Wort gar nicht verwenden, auf diesen Kriegsalltag macht die Dimension des Krieges begreifbar. Mit einer Meldung über soundso viel Gefallene in einer Schlacht kann der einzelne wenig anfangen, dies hat allenfalls statistischen Wert. Aber wenn man begreifbar macht, dass hinter jedem Gefallenen eine Mutter und ein Vater steht, eine Ehefrau, die man zuletzt bei der Eheschließung gesehen hat oder ein Sohn, eine Tochter, die dieser Soldat noch nie in die Arme schließen konnte und dies alles in Relation setzt zu seiner eigenen Familie, dann bekommt das Grauen des Krieges, der Schmerz und die Verzweiflung ein Gesicht und wird emotional nacherlebbar. Erst dann wird man die Menschen erreichen und dann wird die Forderung „Nie wieder Krieg“ die nötige Resonanz finden.
Von dem italienische Dichter und Gelehrten Francesco Petrarca. stammen folgende Sätze:
„Fünf große Feinde des Friedens wohnen in uns: nämlich Habgier, Ehrgeiz, Neid, Wut und Stolz. Wenn diese Feinde vertrieben werden könnten, würden wir zweifellos ewigen Frieden genießen.“

Der Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge hat den Volkstrauertag 1922 eingeführt. Die Nazis missbrauchten ihn und widmeten den Tag zu einem „Heldengedenktag“ um. Seit Gründung der Bundesrepublik findet der Volkstrauertag seit 1950 jeweils am Sonntag zwei Wochen vor dem Ersten Advent statt. Er mahnt zu Versöhnung, Verständigung und Frieden. Doch nicht nur in Deutschland wird getrauert, überall auf der Welt werden Tage vergleichbar mit diesem Volkstrauertag, begangen.
Im britischen Empire wurde nach dem Ersten Weltkrieg ein nationaler Gedenktag, der 11. November, eingeführt im Gedenken an den  Waffenstillstand von Compiègne, der besagte, dass die Kriegshandlungen am „Elften Tag des elften Monats um elf Uhr“ enden sollten. Zum Symbol für diesen Tag wurden roten Mohnblumen, auf englisch Poppies genannt, die diesem Tag seinen Namen gaben: Poppy Day. Das Symbol geht zurück auf ein Gedicht des kanadischen Obersten John McCrae, entstanden 1915 unter dem Eindruck des Verlustes eines Freundes in der Schlacht bei Ypern:
Auf Flanderns Feldern blüht der Mohn 
zwischen den Kreuzen, Reihe um Reihe,
die unseren Platz markieren und am Himmel
fliegen die Lerchen, noch immer tapfer singend,
unten zwischen den Kanonen kaum gehört.

Wir sind die Toten. Vor wenigen Tagen noch
lebten wir, fühlten den Morgen und sahen den leuchtenden Sonnenuntergang, liebten und wurden
geliebt, und nun liegen wir
auf Flanderns Feldern.

Nehmt auf unseren Streit mit dem Feind,
aus sinkender Hand werfen wir Euch
die Fackel zu, die Eure sei, sie hoch zu halten.
Brecht Ihr den Bund mit uns, die wir sterben,
so werden wir nicht schlafen, obgleich Mohn wächst
auf Flanderns Feldern.
Aber auch in Kanada, Australien, Neuseeland, Südafrika, Belgien und Frankreich wird an diesem 11. 11. der Toten gedacht und alle Gedenkfeiern sind sehr vergleichbar in dem Willen und der Mahnung, dass Kriege, dass Gewalt eben nicht eine legitime Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln sind. Hier sind die ehemaligen Feinde vereint im Geiste und im Willen, Kriege nicht mehr zuzulassen. Leider wird diese Stimme nicht gehört.
In den vergangenen 60 Jahren hat es mehr als 200 kriegerische Auseinandersetzungen gegeben, von denen jetzt noch 53 aktiv sind. Insgesamt waren 123 Staaten daran beteiligt, oder sind es jetzt noch immer. Zusammengenommen übersteigen diese bewaffneten Konflikte das Ausmaß an Leid, das bei den beiden großen Kriegen im letzten Jahrhundert bekannt wurde. Millionen Menschen haben ihr Leben, ihr Hab und Gut, ihre Heimat verloren, waren oder sind noch immer auf der Flucht.
In Deutschland sind wir in der glücklichen Lage, dass meine Generation und alle folgenden Krieg nicht erlebt haben, nicht von Bildern verfolgt werden oder die Traumata des Schlachtfeldes verarbeiten müssen, den Tod des Kameraden erleben zu müssen oder den des sogenannten Feindes, dessen Tod man selbst verursacht hat. Lassen Sie mich Ihnen einige Fakten sagen zu einem Krieg, der viele von uns noch begleitet hat in den Nachrichten – der Vietnamkrieg, in dem Amerikaner in Vietnam gegen die nordvietnamesischen Truppen kämpften und der 1975 mit einer Niederlage der USA endete:
Die Vereinigten Staaten verzeichneten 58.193 Mann als Verluste. Fast 45.000 von ihnen waren nicht älter als 25, ein knappes Drittel davon war zum Zeitpunkt ihres Todes 20 Jahre alt. Insgesamt verloren die Vereinigten Staaten nach Kriegsende durch Spätfolgen über 60.000 weitere ehemalige Soldaten durch traumatisch bedingte Selbstmorde. Das bedeutet mehr Tote als im Krieg selbst. Über 40.000 Veteranen wurden während ihrer Dienstzeit in Vietnam heroinsüchtig, 330.000 wurden einerseits wegen der Demobilisierung, andererseits wegen der politischen Lage und der psychischen Spätfolgen, arbeitslos. 1972 saßen über 300.000 Veteranen in Gefängnissen ein, weil sie aus den genannten Gründen straffällig geworden waren und es ihnen nicht gelungen war, wieder in das zivile Leben zurückzufinden.
Warum erzähle ich Ihnen das? Auch jetzt kommen junge Männer und Frauen aus Kriegen zurück nach Hause, nach Deutschland. Sie brauchen unsere Hilfe, unser Verständnis und unsere Unterstützung bei der Bewältigung ihrer Traumata, aber sie brauchen auch unser Handeln, unser Mitgefühl.  Der Krieg findet nicht in Deutschland statt, aber wer die Augen nicht verschließt, wer mit wachem Verstand durchs Leben geht, dem wird nicht verborgen bleiben, dass die Zeit der Kriege noch nicht vorbei ist und dass wir alle davon berührt werden. Dies sollte nicht geleugnet werden. Lassen Sie uns an diesem Tag innehalten und unseren Gedanken den Raum geben, der diesem Tag würdig ist und lassen Sie uns nicht diese Bürger sein, die Goethe so trefflich beschrieb:
Nichts bessres weiß ich mir an Sonn- und Feiertagen, 
als ein Gespräch von Krieg und Kriegsgeschrei …
Wenn Sie heute nach Hause gehen, denken Sie an die Bedeutung dieses Tages, der Volkstrauertag genannt wird, aber über die Trauer hinaus eine Aufforderung ist, sich im Gedenken an die Toten der Kriege aktiv einzusetzen im Sinne des Vermächtnisses all jener, die ihr Leben ließen:
Nie wieder Krieg!  Friede auf Erden!
Ich danke Ihnen.